GOLEM
TAREK K.I.Z
Von Sergej Stutz
Es grenzt an eine musikalische Revolution, dass ein Mitglied von K.I.Z nach zwei Dekaden sich dazu entschliesst, ein eigenes Album zu veröffentlichen. Mit nicht einmal Mitte dreissig sind Tarek Ebéné, Nico Seyfrid und Maxim Drüner seit zwanzig Jahren gemeinsam ohne Unterbruch als Band unterwegs. In den Texten der Berliner Band wechseln sich marxistische Analysen mit dadaistischen Nonsens ab und mit ihren unsinnigen und lustigen Videos und Live-Auftritten haben sich die drei Rapper seit Anfang des 21. Jahrhunderts zurecht auf dem Deutschrap-Olymp einen Sonnenplatz ergattert.
Fünf Jahre nach dem letzten Album von K.I.Z war es also da. Das erste Album von Tarek. Er brauchte wohl seine ganze Karriere, um diesen verdammten «Golem» zu erschaffen. Die Figur, welche in der jüdischen Literatur und Mystik vorkommt, ist ein aus unbelebter Materie wie Staub oder Erde geformtes Wesen, das durch rituelle Beschwörung zum Leben erweckt wird. In vielen Erzählungen gerät das Geschöpf ausser Kontrolle und der Golem selbst wird zur Bedrohung für den Menschen, der ihn geschaffen hat – Alle diese genannten Eigenschaften kann man auf das von Tarek produzierte «Golem» übertragen.
In zwei Dekaden haben sich bei Tarek so viele Emotionen angesammelt, dass es wohl Zeit war, ein ernstes Album zu produzieren, stets in Hoffnung, dass sich das Gesagte nicht eines Tages sich gegen ihn wendet - «Wieder mal springt irgendjemand auf das Bahngleis / Und der Rest von uns kann später zur Arbeit.», rappt Tarek auf Ticket hier raus.
Auf «Golem» wechseln sich persönliche Lebenserfahrungen und Ernsthaftigkeit mit purer Eigenironie ab, so wie es auf Nach wie vor zu hören ist – Dieses Lied ist Tareks Champion, wie es bei Kanye auf dem Album «Graduation» war. Tarek schafft es, mit Hilfe von renommierten Produzenten im Deutschrap wie den Drunken Masters (Casper), The Cratez (Bausa) und Philipp Hoppen (Kraftklub) den Hörer mit ausgefeilten und tiefgründigen Beats und Texten in den Bann zu ziehen.
Die Diamanten in den Händen des «Golem» sind die beiden Lieder Wenn du stirbst und Liebe. Die im Album aufeinander folgenden Tracks sind das Herz der Kreation. Wenn du stirbst zeigt Tarek als einen verzweifelten Psychopathen, der keinen anderen Ausweg sieht, als seine verflossene Liebe umzubringen. Ohne Unterbruch geht die Geschichte weiter - in Liebe findet sich Tarek jedoch wieder in einer Beziehung, welche toxisch ist, und der gesamte Kreis der Misere wiederholt sich. Diese Unzufriedenheit und Leere bringt das in Kiew produzierte Video zu Liebe perfekt zum Ausdruck.
Doch der «Golem» hat auch eine heitere Seite, welche ganz kurz aufblitzt (wie ein Lächeln auf Kanye Wests Lippen – immer wieder diese Vergleiche mit Kanye. Ich glaube, er ist einfach ein G.O.A.T.). Der Track Nubischer Prinz bringt den Funk-Vibe zurück und selbst Pop-Göttin Miss Platnum aus ihrem langjährigen Hiatus.
Doch kaum ist der endorphine Höhepunkt auf dem Album erreicht, wendet sich Tarek wieder ernsthaften Themen zu, wie zum Beispiel auf dem Track Weisser Drache, in dem er seine überstandene, exzessive Kokainsucht und die damit verbundenen Nebenwirkungen untermalt. Das Album endet passend zu der aktuellen Jahreszeit, mit einem Frühlingstag. Das Lied ist wohl das persönlichste auf dem gesamten Werk. Tarek schildert die Beziehung mit seinem an Krebs verstorbenen Vater und die gemeinsame Affinität zur Musik und dem US-Popstar Prince.
Tarek K.I.Z hat mit seinem ersten Soloalbum «Golem» neue Massstäbe gesetzt. Es macht Sinn, warum es zwanzig Jahre gegangen ist, bis er seinen «Golem» in der deutschen Hip-Hop-Landschaft ausgesetzt hat. Jedes Lied ist durchdacht und enthält die nötige Struktur und Eigenschaft, welche meines Erachtens ein ausgezeichnetes Deutsch-Rap-Album ausmachen - Ein Werk auf der Höhe des im Jahr 2010 erschienenen und von den Krauts produzierten Albums von Marteria, «Zum Glück in die Zukunft».
Die besten Songs:
Ticket hier raus
Bang Bang
Wenn du stirbst
Liebe
Weisser Drache
Frühlingstag