19xx_2xxx

JEANS FOR JESUS

Die Berner haben mit ihrem neuen Album geschafft, was in der Schweizer Musikszene aktuell niemandem gelingt. Sie beweisen mit «19xx_2xxx», dass CH-Pop einzigartig und erfolgreich sein kann.

Von David Marbach

«Wenn ich früher ein neues Album von irgendwem gekauft habe, dann war immer klar: Das klingt anders als die Sachen vorher. Wir haben es gefeiert, weil es etwas Neues war, sagt Sänger Mike Egger dem «Tagblatt». Das Credo der Band: «Progressiv bleiben und trotzdem Pop machen.» Kein einfaches Unterfangen, dass sich die Indie-Pop-Band vornimmt, ihr aber als eine der wenigen Akteure im Schweizer Musikbusiness zu gelingen scheint. Auch ich habe die neue Platte von «J4J» gekauft, weil sie im Vergleich zu «P R O» als Gesamtkomposition überzeugt. Auch wenn auf dem Vorgänger ebenfalls grossartige Songs zu finden sind.



Die gepitchten Stimmen der beiden Sänger Mike Egger und Demian Jakob verschmelzen auf den sechzehn Tracks beinahe wie ein zusätzliches Instrument in den typischen Jeans-Beats. Anders als die älteren Alben «Jeans for Jesus» und «P R O» hört sich «19xx_2xxx» – zumindest auf den ersten zwölf Tracks – an wie ein Fluss, dessen Mundart-Popwellen einem gemütlich durch den Tag schaukeln. Manchmal kommen auch grosse, lyrische Wellen, die überfordernd wirken können. Doch kein Grund zur Sorge: Mir gheie vo wit obä, doch faue nid.
Es macht nichts, wenn man im kalten Wasser landet.

Wer nicht mag, muss sich gar nicht gross mit der Bedeutung der Lyrics befassen, denn wie die «WOZ» so schön schreibt: «Was die Musik von Jeans for Jesus so zeitgemäss macht, ist auch ihr Impressionismus. Ihre Songs erzählen keine Geschichten, sondern vermitteln Stimmungen – oder eben einen ‘#mood’, wie die Leute auf Instagram ihre Landschaftsbilder markieren.»



Auf dem Album dreht sich vieles um Zeit. Im Song «2000&irgendwo», wo die Berner mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und deren Bedeutungen in unserem Leben jonglieren. Wobei die Vergangenheit einen schweren Stand hat und die Zukunft gewinnen soll. Mein Lieblingssatz aus den Lyrics-Erklärungen auf der Vinylplattenhülle zu diesem Song: «wenn gölä sagt, i hätt no viu blöder ta, ist doch die frage interessant, wieso er nicht auf die idee kommt, einfach jetzt ‘blöder zu tun’, oder morgen.»

Fürä u zrügg geit beides ewig ws hautisch vom ougäblick?

Wie auf jedem ihrer Alben hat es auch auf «nünzähhondertzwoituusig» Platz für experimentelle Tracks, die den popigen Rahmen des Albums wohl bewusst brechen sollen. So ist es auf ihrem neusten Werk das Tracktrio «127.0.0.1», «127.0.0.2» und «127.0.0.3», benannt nach dem Anfang von unseren IP-Adressen, mit denen wir im digitalen Zeitalter die Weiten des zum Teil mit Schrott überfüllten Webs durchforschen. «Dir heit die Wäut flachdrückt.» Eine Anspielung auf die Flat-Earth-Theoretiker, die sich im Netz in ihre Verschwörungen verstricken – und eben auch mit einer solchen IP-Adresse surfen. Es fasziniert, die Lyrics und ihre Erklärungen dieser Songs nachzulesen. Während dem Hören textlich mitzukommen, fällt bei diesem Zehnminüter hingegen schwer.



Verändert haben sich auch die Live-Shows der Jeans. Die Plattentaufe im Dachstock Bern war ein voller Erfolg. Mit mehreren Songs am Stück und gelungenen Übergängen in Verbindung mit Samples oder älteren Hits versetzten sie ein begeistertes Publikum in einen Flow-Zustand. Wer ihr Album gerne im Alltag hört, wird ihr Konzert lieben. Und die Konzerte kommen dann schon zurück, versprochen!

Aues wird besser si



Die besten Songs:

Merci
liechter
2000&irgendwo
nothin’
bubbletrouble
la zie
babyboomsuperstar
selfcheckout
127.0.0.1